Mit meiner Kunst schreibe ich keine Biographie über mich, es ist immer eine Entfremdung. Es gibt Werke, da weiss ich, ich war in einer kritischen Phase. Es ist schwieriger für mich künstlerisch zu arbeiten, wenn es mir gut geht. Ich arbeite besser, wenn es mir schlecht geht. Kreativität und schwierige Lebensphasen hängen bei mir zusammen.
Bessere Ideen kommen aus der Krankheit und der Verzweiflung. In so einem Zustand muss man die Ideen nicht suchen, sie sind Teil des Zustandes. Wenn es mir gut geht, bin ich gezwungen Ideen zu suchen, zu entwickeln. Es gibt drei wichtige Themen im Leben: Liebe und Sexualität, Religion und Tod. Mit denen setzt sich jeder Künstler auseinander, auch ich. Auf Idylle habe ich keine Lust.
Zu Beginn habe ich Kunst für mich gemacht. Da stand nicht die Idee dahinter etwas zu verkaufen. Das sind Phasen gewesen, wo es mir nicht gut gegangen ist, ich konnte keiner regulären Arbeit mehr nachgehen. Ich war schon vor meiner psychischen Krankheit sehr kreativ, hatte aber kein Selbstbewusstsein zu glauben, dass ich gut genug wäre künstlerisch tätig zu sein. Ich war Leiterin eines Recyclingateliers, habe dort meine Kreativität hineingesteckt.
Meine Krankheit ist auch eine Freiheit. Es hat sich sehr viel Positives aus dem heraus entwickelt, aber es ist ein langer Prozess gewesen. In mein altes Leben zurückzukehren ist keine Option. Ich bin nicht stressresistent. Ich fühle mich jetzt als Künstlerin, im kleinen Rahmen.
Der Schritt mit meiner Kunst in die Öffentlichkeit zu treten ist zweischneidig. Ich möchte nicht in die Situation kommen produzieren zu müssen. Das wäre ein unheimlicher Stress für mich, dann wäre ich wieder unter Druck. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dem Stand halten würde. Natürlich habe ich den Wunsch auszustellen.
Manchmal bin ich extrem zufrieden mit einem Werk. Wenn meine Sachen dann noch den Leuten gefallen, was will ich mehr? Ich habe aber nicht den Anspruch, dass meine Sachen gefallen müssen.
Ich arbeite seit neun Jahren nicht mehr für Geld. Meine künstlerische Entwicklung ist relativ schnell gegangen. Im ersten Jahr meiner Krankheit habe ich nur Friedhöfe auf fotografiert. Interessiert haben mich die Grabdekorationen, all die Plüschtiere, Tonfiguren und Engel aller Art. Danach bin ich zum Textilen gekommen und so ging es weiter, ich habe mich über die Jahre entwickelt.
Vor drei Jahren bekam ich plötzlich heftige Panikattacken. Ich bin auf dem Sofa gesessen und hatte Angst zum WC zu gehen. Ich habe in der ganzen Wohnung Stühle aufgestellt, um zur Toilette zu kommen. Dann bin ich von Stuhl zu Stuhl, um mich festhalten zu können. Die Angst hat mich schwindlig gemacht, ich hatte ständig das Gefühl, ich falle in Ohnmacht. Ich konnte nur mit knapper Not zweimal die Woche einkaufen gehen. Das war eine sehr schwierige Zeit für mich. In der Zeit konnte ich das Haus kaum verlassen, nicht Tramfahren, keine Treppen steigen, keinen Lift verwenden. Ich hatte Angst, dass ich stationär eingewiesen werden müsste. Wenn man zu Hause keine Ruhe mehr findet, kommt der Punkt an dem man in eine Klinik sollte. Ich hatte alle Notfallnummern am Tisch, die Wohnungstür nicht abgeschlossen, damit jederzeit jemand hereinkommen kann. So habe ich mein Leben rund um meine Panik organisiert. Ich war sehr stolz, als ich das erste Mal das Haus wieder verlassen konnte, aus eigener Kraft. Es sind kleine Schritte, die mich begleiten.
Ich habe lange einen extrem eingeschränkten Lebens-Radius gehabt. Auf Grund meiner Krankheit konnte ich meine Eltern nicht mehr besuchen, die sind achtzig. Ich hatte immer Angst, meinen Eltern passiert etwas und ich kann nicht zu ihnen fahren. Ich kann immer noch nicht weit reisen, kleine Freiheiten habe ich zurückgewonnen.
Irgendwann wollte ich wissen: woher kommt die Angst? Ist sie erblich bedingt, was war der Auslöser? In einer Art bin ich über die Jahre therapieresistent geworden. Ich mag mich auch nicht mehr ständig fragen: Warum? Es ist einfach so. Es geht mir nicht darum eine Antwort auf das Warum zu finden, sondern mehr darum, den Umgang damit zu finden. Es ändert ja nichts wenn ich weiss warum. Ich habe mein Leben darauf eingestellt, ich vertrage weder Stress noch Druck. Das Gute ist, ich habe gelernt, was ich mir zumuten kann und eine Therapie gefunden die mich dabei unterstützt.
Die Krankheit hat sich abgezeichnet. Ich bin schon früher wochenweise krank gewesen wegen verschiedenen Verstimmungs- und Erschöpfungsdepressionen. Ich habe meine letzte Arbeitsstelle geliebt, das war ein trauriger Abschied, sehr sogar. Davor habe ich den Einstieg immer wieder geschafft. Dann kam der Punkt, an dem klar war, jetzt geht es nicht mehr.
Was ich vermisse ist das Reisen. Innerhalb Europas würde ich mich gerne wieder bewegen. Ich hoffe, dass das wieder gehen wird, wahrscheinlich mit Medikamenten. Ich träume vom Meer, dem Atlantik. Mein Problem ist, ich bekomme Angst, wenn ich lange Zug fahren muss. Ich halte das irgendwie nicht aus. Beim Fliegen habe ich keine Angst vor dem Abstürzen, von oben auf die Welt zu schauen finde ich toll, aber die Enge ertrage ich nicht.
Ich hadere nicht. Wenn ich rückblickend entscheiden müsste, Kreativität oder Normalität, dann wäre es die Normalität, die ich wählen würde. Der Preis für meine Kreativität ist sehr hoch. Das unterschätzt man von aussen. Ich wünsche das wirklich niemandem.
Kontakt Marianne Pletscher: ma.pletscher@bluewin.ch
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